Vergessene Bahnstrecken: Hann.-Münden - Dransfeld - Göttingen (Teilstrecke Kursbuchtabelle 202, ab 1972 - KBS 257), im Kursbuch geblättert ...

In meinen durch die Zeit "geretteten" Unterlagen der alten Eisenbahn habe ich einen Taschenfahrplan mit den Abfahrts- und Ankunftszeiten in Kassel Hbf aus der Sommerfahrplanperiode 1956 gefunden. Ich habe ihn in einer Tabelle ausgewertet. Er enthält noch Bahnstationen aus der Region um Kassel, wo heute längst kein Schienenverkehr möglich ist, so wie z.B. in Dransfeld. Nach dem Sommerfahrplan 1956 gab es an Werktagen zwei Verbindungen, mit denen man ohne Umsteigen über Dransfeld von Kassel nach Göttingen fahren konnte (Kassel Hbf ab 13:06 Uhr bzw. 20:35 Uhr). An Sonn-/Feiertagen verkehrte am Morgen ein Zug, so dass auch an diesen Tagen durch den Mittagszug zweimal durchgehend mit dem Personenzug nach Dransfeld gefahren werden konnte (Kassel Hbf ab 09:02 Uhr). In der Gegenrichtung verkehrten täglich sogar vier Personenzüge ab Göttingen, mit denen von Dransfeld umsteigefrei nach Kassel Hbf gefahren werden konnte (Dransfeld ab 05:49 - 08:58 - 13:24 - 18:09 Uhr, Kassel Hbf an 07:00 - 10:07 - 14:27 - 19:18 Uhr). In der Bibliothek der Eisenbahnfreunde Kassel befindet sich leider kein Exemplar des Kursbuchjahrgangs 1956, um mehr über die planmäßigen Zugverbindungen in diesem Zeitraum für diese Strecke heraus zu finden. Als ältestes Kursbuch kann das für den Sommer 1961 herangezogen werden. Der Vergleich mit dem Sommerfahrplan 1956 zeigt, dass die Zugverbindungen ab Kassel Hbf, abgesehen von geringfügig veränderten Zeiten, gleich geblieben sind, gleiches gilt für die Gegenrichtung, die Verbindung am frühen Abend ist entfallen.
Wesentlich interessanter ist die Betrachtung der Belegung der Strecke Göttingen - Dransfeld - Hann. Münden (-Kassel Hbf) mit Reisezügen. Dabei bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Anzahl der Züge, die sich im Wesentlichen daraus ergeben, dass auch Fernverkehrszüge über diese Strecke geführt wurden.

Dabei ist bemerkenswert, dass, aufgrund der historisch begründeteten Streckenführungen zwischen Kassel und Göttingen, die Verbindung über Dransfeld - Hann. Münden nach Kassel als südlicher Teil der Hannöverschen Südbahn mit exakt 34,0 km die kürzere Strecke ist, daraus ergibt sich für diese Trassierung eine Gesamtlänge von 58,2 km. Die noch heute befahrene Strecke von Kassel über Eichenberg, historisch entstanden als Teil der Halle-Kasseler-Eisenbahn, nach Göttingen hat eine Länge von 67,1 km, ist also rd. 10 km länger.
Zurück zum Sommerfahrplan 1961. Täglich verkehrten über Dransfeld in Richtung Göttingen sieben Personenzüge, an Sonntagen ein weiterer und aus heutiger Sicht - man glaubt es kaum - der Ft 41 "Senator", seinerzeit mit das Edelste der frühen Bundesbahnzeit. Dieser Fernzug erreichte zwischen Kassel Hbf und Göttingen bei einer Fahrzeit von 46 min eine Reisegeschwindigkeit von knapp 76 km/h, während die Personenzüge aufgrund der fünf Zwischenhalte es auf der Strecke von 34,0 km nur auf eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von 48 km/h brachten. Zwei Triebwagenverbindungen waren mit 43 km/h etwas schneller. Die Streckenführung von Göttingen über Dransfeld ist geprägt durch die 16 %o Rampe auf dem 10,8 km langen Abschnitt von Groß Ellershausen nach Dransfeld. Diese Steigung erforderte, dass schwere Züge nachgeschoben werden mussten.

Es erstaunt, dass trotz dieser betrieblichen Schwierigkeiten im Sommer 1961 sogar sechs (!) Fernzüge über diese Strecke geführt wurden. Das waren neben dem Ft 44 - Roland - und dem Ft 42 - Senator - vier D-Züge, nämlich der D 184, D 74, D 284 und D 178 auf ihrem Laufweg Richtung Süden über Würzburg bzw. Frankfurt. D 284 und D 178 legten auf dem Weg nach Kassel noch einen zweiminütigen Stopp in Hann. Münden ein. Das Bild von W. Gronwald stammt aus dem Bildarchiv der Eisenbahnstiftung und zeigt die hannoveraner 01 223 vor dem D284 bei Hann=Münden=Nord

Auch der Schlafwagenzug "KOMET" fuhr, zumindest in Südrichtung, über Dransfeld. Nicht immer hatte er dabei eine gute Fahrt: am Morgen des 5. Februar 1955 fuhr er in abgestürzte Steinbrocken am Volkmarshäuser Tunnel und wurde schwer beschädigt.

Die beiden Ft-Züge benötigten offensichtlich bedingt durch die Steigungsstrecke in dieser Richtung zwei bzw. fünf min mehr Fahrzeit. Die Fahrzeit der zwischen Göttingen und Kassel ohne Halt verkehrenden D-Züge war mit 1 Std 5 Min wesentlich länger (+ 17 Min). Bei ihnen wirkten sich Steigung und Zuggewicht stärker aus. Beim Vergleich der Fahrzeiten für die Personenzüge fällt auf, dass sie in dieser Richtung, soweit lokbespannt, im Durchschnitt 5 - 6 min mehr benötigten, dagegen konnten die mit Triebwagen geführten Personenzüge die Fahrzeiten der Gegenrichtung halten.

Es sind nun schon mehr als 25 Jahre vergangen, dass diese Strecke stillgelegt und überwiegend abgebaut worden ist. Zugverbindungen nach Dransfeld gehören damit der Vergangenheit an.

Auch nach dem Ende des Personenverkehrs wurde noch Oberscheden mit Übergaben angefahren. Ab und zu verirrte sich auch ein Schienenbus auf Sonderfahrt auf unsere Strecke, so wie hier im Mai 1984 am Volkmarshäuser Tunnel.

Ein Grund für die Stillegung dürfte neben der Steigungsstrecke auch die Tatsache gewesen sein, dass die Strecke zwischen Hann. Münden und Göttingen die Bundesstraße 3 mit vier Bahnübergängen kreuzte und die ab 1964 abgeschlossene Elektrifizierung der Nord-Süd-Strecke über Eichenberg eine wesentliche Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Magistrale gebracht hat.

Morgendlicher Personenzug 2503 Göttingen-Hann=Münden mit 044 155 an einem der vier Bahnübergänge der B3 (bei Gut Wellersen).

HBö, 06.08.2022

Wer mehr über die Dransfelder Strecke wissen will, dem seien diese beiden Webseiten empfohlen:
  1. Webseite über die Strecke Göttingen-Hann=Münden
  2. Eisenbahnstiftung, im Bildarchiv nach den Aufnahmen von Willi Hager suchen
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